Der Räuberhauptmann Peter und der schwarze Paul

Vor vielen, vielen Jahren breitete sich von Makau bis Schammerwitz zu beiden Seiten der Zinna einer breites Sumpfgelände aus, und verloren war der Reisende, der seinen Fuß dieser nassen und schwankenden Fläche anvertraute. Nur an einer Stelle bei Groß-Peterwitz, wo die Zinna gezwungen ist, eine sanfte Hügelwelle zu durchbrechen, in der Nähe der „Napoleonská cesta“ (»Napoleon–Straße«, später Sandstraße genannt und jetzt ulica Konopnickiej), war ein Übergang möglich, und eine Holzbrücke stellte die Verbindung her. Dieser Übergang war aber ein recht wichtiger Punkt; denn über jene Hügelwelle führte eine der wichtigsten Handelsstraßen von Böhmen nach Polen hin, vorüber an den heutigen Orten Kornitz und Ottitz und dem weitbekannten Stapelplatz Ratibor.

Die Zinna begrenzte aber auch zwei besondere und gefürchtete Reiche: auf der einen Seite das Gebiet des Räuberhauptmanns Peter, der die Gegend nach Leobschütz unsicher machte. Auf der andern des noch mehr gefürchteten Bandenführers, der unter dem Namen „czorny Pawel“ (»schwarzer Paul«) die Gegend bis an die Stadtmauern von Ratibor brandschatzte.

Der Räuberhauptmann Peter hatte unweit der Zinna ein großes Haus, welches aus Steinblöcken errichtet war. Darunter gab es tiefe, gut geschützte Keller. Sie bargen die reichen Schätze der unzähligen Beutezüge. In ihnen musste aber auch mancher Wanderer schmachten, der ein reiches Lösegeld erhoffen ließ, auch mancher Unglückliche, der der Rache Peters verfallen war. Nach erfolgreichen Raubzügen feierte die Bande in dem Hause ihres Hauptmanns über den Köpfen der verzweifelten Gefangenen in den dunklen Verließen tage- und nächtelang ihre Feste. So war die Räuberschar ein Schrecken für die Reisenden, die gezwungen waren, die Handelsstraße zu benutzen.

Einst, zu Beginn der Fastenzeit, zog ein einsamer Reiter den gefährdeten Weg. Alt und gebrechlich saß er auf einem abgetriebenen Gaul und hatte eine großen, wohlgefüllten Ledersack vorn über dem Sattel hängen. Nur langsam ging es vorwärts. Gespannt suchten die lebhaften, klugen Augen des greisen Gesichtes die Büsche zu beiden Seiten des Weges zu durchdringen. Sollte der einsame Reiter etwas ein anderer sein, als er sich stellte? Es war in der Tat so. Der gebrechliche Greis war einer der größten Zauberer Polens, ein Mann von überaus großer Macht. Er hatte einst mit dem Höllenfürsten einen Bund geschlossen und ihm seine Seele verpfändet. Dafür war er mit allen Künsten und Kräften der schwarzen Geisterwelt ausgerüstet worden. Das ganze Jahr konnte er seine Kunst ausüben und standen ihm die Geister zur Verfügung. Aber wenn die heilige Fastenzeit kam, dann war er nur ein gewöhnlicher Sterblicher, auch der Satan konnte ihm nicht helfen.

Landein, landaus war er gezogen mit seinen zauberhaften Künsten. Den Winter über hatte er das reiche Böhmerland von Stadt zu Stadt, von Schloss zu Schloss durchstreift und den staunenden Zuschauern viel Gold und Silber eingeheimst. Nun wollte er den Reichtum heimbringen nach der Königsstadt Krakau. Doch der Weg war weit, die Reise würde über die Fastenzeit dauern, seine machtlose Zeit. Darum sprach er vor ihrem Antritt sein Zauberwort und verwandelte seine Kleinodien im großen Ledersack in verwitterte graue Steinklumpen und sich selbst in einen gebrechlichen Greis.

Glücklich und unbehelligt hatte er schon Peters Reich hinter sich, ritt über die Zinnabrücke und war bald im Walde, der still und einsam sich um ihn ausbreitete. Der schwarze Paul lag aber auf der Lauer, er ließ den Reiter ruhig herankommen. Da, plötzlich ein Brechen und Knacken im Gebüsch! Und schon war der Reisende von der stark bewaffneten Räuberschar umringt. Ihr Anführer, eine Hüne von Gestalt, das Gesicht von einem wilden, schwarzen Barte umrahmt, ließ Reiter und Gepäck durchsuchen. Dann fragte er nach dem eigentümlichen Inhalte des Ledersackes. Der Greis erklärte, es seien Steine, die er für gelehrte Männer seiner Heimat gesammelt hätte. Paul aber misstraute ihm. Er hielt den greisen Reiter für einen jener Leute, die Gold zu machen verstehe, der sollte ihm noch gute Dienste leisten. Darum befahl er, ihn in ihren Schlupfwinkel mitzunehmen. Das Haus des schwarzen Paul stand inmitten des dunklen Föhrenwaldes (Kiefernwald) auf einem Hügel. Es war von festen Stämmen gebaut und hatte tiefe, mit Steinen ausgelegte Keller, die durch schwere Falltüren geschlossen wurden. Dort kam der Gefangene in den tiefen, wohlverwahrten Keller, in den kein Lichtstrahl einzudringen vermochte. Bei Brot und Wasser sollte er solange schmachten, bis er dem schwarzen Paul das Geheimnis der Steine offenbaren würde. Täglich hatte er Verhöre zu bestehen, und mit Verhöhnungen, Rippenstößen und Fußtritten brachten ihn die Räuber zurück in sein Verließ. Über sich hörte der Zauberer das Schwelgen der Bande und spürte bis in den Keller den feinen Duft des Wildbratens und des Weines, aber er bekam nichts davon.

Die Fastenzeit war noch so lang, die ihn hilflos machte. Was würde er noch alles zu leiden haben! Da ersann er eine List. Er ging scheinbar auf den Gedanken des Hauptmanns, dass er ein Goldmacher wäre, ein, erklärte aber, dass er seine Kunst erst beim Klange der Auferstehungsglocken ausüben vermöge. Darum bat er um gute Verpflegung bis zu dieser Zeit, am Ostermorgen sollte dafür der schwarzer Paul einer der reichsten Menschen auf der Welt werden. Der Hauptmann glaubte den Worten des Zauberers. Nun hatte der Gefangene es so gut, als er sich nur wünschen konnte.

Langsam näherte sich der Ostertag. Am Karsamstag schickte Paul seine Genossen unter einem Vorwande aus dem Hause fort, um den erwarteten Reichtum nicht mit ihnen teilen zu müssen. In der Unruhe der Habgier schaute er dem Morgen entgegen. Schon dämmerte es im Osten über Ratibor. Der Sack mit den Steinen stand im Hofe. In der Haustür aber lehnte der Paul und sah dem geheimnisvollen Treiben seines Gefangenen zu. Dieser zeichnete um den Sack Figuren und Kreise, murmelte unverständliche Worte, streute Kräuter umher und wandte sich dann beschwörend nach allen Himmelsrichtungen. Da auf einmal ertönte ein sanftes Klingen in den Lüften aus der Ferne. Von den Türmen Ratibors verkündeten die Glocken, dass der Heiland dem Grabe entstiegen sei. Starr, mit ausgebreiteten Händen stand der Zauberer, als sei er zu Stein geworden, und rührte sich nicht, bis der letzte Ton verklungen war. Dann aber reckte er sich, neues Leben kam in seinen Körper, wilder wurden seine Bewegungen, lauter seine Beschwörungen. Ein gellender Ruf kam aus seinem Munde. Augenblicklich entstand ein gewaltiges Sausen über den Wipfeln, eine Beben der Erde und dann ein gewaltiges Krachen. Das Haus des Räubers, der ganze Hügel fing an zu schwanken, die Erde barst. Ein grässlicher Schrei des schwarzen Paul, er stürzte mit seinem Haus und seinen Schätzen in die gähnende Tiefe, dann schloss sich der Spalt. Der Zauberer aber schwang sich in die Lüfte und war im selben Augenblicke verschwunden.

Auf der Stelle des Schreckens entstand ein freundlich gelegenes Vorwerk und ein Jägerhaus, das vom hohen Abhang hinabschaut in einen Talkessel, der bis vor ein paar Jahren ein unheimlicher, mit Schilf bewachsener Sumpf war. Aus diesem Sumpf vernahm man jeden Ostermorgen, wenn die Glocken die Auferstehung verkündet hatten, jenen grässlichen Schrei, der jedem zufällig Vorüberkommenden durch Mark und Bein ging. Dieses Vorwerk heißt Paulshof und gehört zur Gutsherrschaft Kornitz. Der schwarze Paul ist die Veranlassung zu seinem Namen. Ebenso heißt nach ihm der nicht weit entfernt liegende Ort Pawlau.

Nachdem der Räuberhauptmann Peter erfuhr, was dem schwarzen Paul passierte, verteile er die Schätze zwischen seine Genossen und ging zu Fuß auf eine Pilgerreise nach Welehrad, um seine Sünden zu bereuen. Die Kameraden hingegen gründeten an dieser Stelle ein Dorf, welches sie Peterwitz nannten.

nach Karl-Ernst Schellhammer, Oberschlesischer Sagenspiegel, Peiskretscham 1939, S. 32.